Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Mahn‑ und Gedenkstätte Ravensbrück

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Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück

»Ravensbrücker Kolloquium«: Angesichts des Schreckens. Sekundäre Traumatisierung in der Gedenkstättenarbeit

10. Februar 2022 – 18:00 bis 20:00 Uhr

Es gibt eine Vielzahl von Studien und Publikationen zur daraus entstandenen Traumatisierung Überlebender. Die Psychoanalytikerin Ilse Grubrich-Simitis schrieb 1984, bei der Realität der Konzentrations- und Vernichtungslager handelte es sich gleichsam um die »Realisierung eines psychotischen Kosmos«, denn »die Erfahrung des Weltuntergangs, die im psychotischen Menschen vom Zusammenbruch seiner inneren Realität ausgelöst wird, war für die Inhaftierten Ergebnis ihres Ausgeliefertseins an ein apokalyptisches äußeres Geschehen. Die Welt ihrer Familien, ihrer Traditionen, der ihnen vertrauten Denk- und Fühlweisen war buchstäblich untergegangen.« Ihre Patienten aus dem Kreise der Überlebenden, fassten „das, was sie mitteilen, oft dinghaft auf, also nicht als etwas Vorgestelltes, Gedachtes, Erinnertes; es hat für sie nicht Zeichen-, nicht beweglichen Phantasiecharakter, sondern eine eigentümlich unverrückbare, konkretistische Qualität.« Grubrich-Simitis führt weiter aus, dass das »Hereinbrechen des total Sinnlosen, des schlechthin Unbegründeten und Unbegründbaren [...] die semantische Dimension und damit einen zentralen Ich-Bereich überhaupt in Frage« stellte [Ilse Grubrich-Simitis, Vom Konkretismus zur Metaphorik, in: Psyche 1/1984, S. 1–28, S. 18.] stelle.

So behauptet sich das Trauma als eine gesunde Reaktion auf eine kranke Realität. Die totale Gewalterfahrung aus den Lagern kann, anders als die Gewaltausübung seitens der Täterinnen und Täter, an keine geläufige narrative Tradition anknüpfen. [Vgl. Harald Welzer, Jenseits der Erfahrung – die Unerzählbarkeit der Vernichtung, in: ders., Verweilen beim Grauen, Essays zum wissenschaftlichen Umgang mit dem Holocaust, Tübingen 1997, S. 123–145.]

Der in die USA emigrierte Psychoanalyti­ker Kurt Robert Eissler brachte bereits 1963 die Pein der einstigen KZ-Insass*innen in einem Artikel über die unglaubliche »Wiedergutmachungspraxis« auf den Begriff, indem er ein biblisches Motiv wählte: »Die Leiden Hiobs waren geringer, und in seinem Falle versuchte der Teu­fel sein Be­stes.« [Kurt R. Eissler, Die Ermordung von wie vielen seiner Kinder muss ein Mensch sym­ptom­frei ertragen können, um eine normale Konstitution zu haben? in: Hans-Martin Lohmann, Psychoanalyse und Nationalsozialismus - Beiträge zur Bearbeitung eines unbewältigten Themas, Frankfurt am Main 1984, S.159–209, hier: S. 205.] Eissler schreibt, er nähere sich »dem Standpunkte, dass alle das Konzentrationslager Überlebenden die Freiheit im Zustande einer Dauerschädigung wiedererlangten.« [Ebenda, S. 191.]

Jean Améry wiederum wandte sich 1966 gegen die »Detachiertheit« »objektiver Wissenschaftlichkeit«, die die Überlebenden mit dem »Begriff des ›KZ-Syndroms‹« für krank erklärte, für »nicht nur körperlich, sondern auch psychisch versehrt.« Den Beschreibungen dieser detachierten Wissenschaftlichkeit zufolge gälten die Charakterzüge, die die Persönlichkeit der Überlebenden ausmachen, als verzerrt. »Nervöse Ruhelosigkeit, feindseliger Rückzug auf das eigene Ich seien die Kennzeichen unseres Krankheitsbildes. Wir sind, so heißt es, ›verbogen‹.« Dies ließ Améry »flüchtig« an seine »unter der Folter hinterm Rücken hochgedrehten Arme denken« und stellte ihm zugleich »die Aufgabe« die »Verbogenheit« der Überlebenden »neu zu definieren: und zwar als eine sowohl moralisch als auch geschichtlich der gesunden Geradheit gegenüber ranghöhere Form des Menschlichen.« [Jean Améry, Jenseits von Schuld und Sühne. Bewältigungsversuche eines Überwältigten, Stuttgart 1980, S.110.]

Dass auch die dauerhafte berufliche Beschäftigung mit dieser Geschichte bei aller Professionalität eine psychische Herausforderung für die Mitarbeiter*innen von Gedenkstätten darstellt, wird im Kolleg*innenkreis immer wieder mal thematisiert. Während es bereits einige Studien zu den psychischen Risiken für die helfenden Berufe [etwa: Christian Pross, Verletzte Helfer. Umgang mit dem Trauma: Risiken und Möglichkeiten, sich zu schützen. Stuttgart 2009] gibt, ist uns bislang nur eine Studie von Renate Jegodtka bekannt, die sich dieses Themas in ihrer Dissertation unter dem Titel »Berufsrisiko Sekundäre Traumatisierung? Im Arbeitskontext den Folgen nationalsozialistischer Verfolgung begegnen« (Heidelberg 2013) angenommen hat.

Wir möchten uns am Donnerstag, den 10. Februar 2022, ab 18 Uhr im »Ravensbrücker Kolloquium« zu diesem Thema mit Interessierten austauschen.

Die Veranstaltung findet auf Zoom statt. Die Teilnahme erfordert eine vorherige Anmeldung unter heyl@ravensbrueck.de. Nach erfolgter Anmeldung erhalten Sie einen Zoom-Link.

Zu Beginn wird die Konstanzer Psychologie-Studentin Caroline Meinshausen in das Thema einführen und eine geplante Studie vorstellen, in der es um »sekundäre Traumatisierung und die psychischen Belastung durch Dokumente und Bildmaterial am Arbeitsplatz« geht, für die sie noch Teilnehmende sucht. Die Veranstaltung wird von dem Leiter der Bildungsabteilung der Gedenkstätte Ravensbrück, Matthias Heyl, moderiert.

Wir hoffen auf einen lebhaften Austausch mit Ihnen!

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