Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Mahn‑ und Gedenkstätte Ravensbrück

Silken Floss – die NS-Täterin in der Popkultur. Ein Gespräch mit Ingrid Bettwieser, Bildungsabteilung

In der Ausstellung gibt es ein Exponat, das schon deswegen heraussticht, da es sich um kein historisches Exponat handelt: die Action-Figur Silken Floss. Was sehen wir?

Silken Floss ist eine Action-Figur der US-amerikanischen Marke Hot Toys, ein sogenanntes Merchandise Produkt des Films The Spirit aus dem Jahre 2008.

The Spirit war eine Verfilmung eines ganz frühen US-amerikanischen Comics. Der Superheld – ebenfalls genannt The Spirit – ist von Will Eisner, einem der renommiertesten Comicautoren überhaupt.

Eisner hat einen jüdischen Hintergrund, und schuf die Figur The Spirit noch im II. Weltkrieg. The Spirit ist eine Art Detektiv, der der Polizei bei der Verbrechensbekämpfung in einer Stadt namens Molochs zur Seite steht, und dort auf den Superschurken Oktopus trifft. Wenn man sich die Spirit-Comics heute anschaut, sieht man ganz klar die Anspielung auf Nazi-Deutschland.

In der Verfilmung von 2008 hat Scarlett Johansson die Figur Silken Floss verkörpert; in den Comics ist das eine Ärztin und die Gehilfin des Schurken Oktopus. Und während Silken Floss im Comic braune Haare hat und einen Arztkittel trägt, wird sie in der Verfilmung zu einer Blondine in schwarzer SS-Uniform.

Der Film ist zwar ein Flopp gewesen, allerdings zählt der Regisseur Frank Miller zu einem der bekanntesten Comicautoren und -regisseuren überhaupt, sodass der Film vor allem Online popkulturelle Relevanz hat.

Wenn man sich die Figuren näher anschaut, ist es ganz markant, dass Scarlett Johansson als international bekannte Schauspielerin hier klar im 'Johansson-Look' erkennbar ist. Wir haben es also mit der Figur Johansson zu tun, die im Common Sense der Popkultur als begehrenswert eingestuft wird.

Was ich augenscheinlich finde, ist die Uniform, die so detailverliebt daherkommt: Sie lässt sich öffnen, die Mütze mit dem Totenkopf und dem Reichsadler.

Die Sexualisierung der Figur ist ganz eindeutig: die hohen Absätze der Stiefel, das Dekolleté, das betont wird durch ein stilisiertes Eisernes Kreuz mit einem roten Stein als Halsschmuck – und die roten Lippen. Dann ist da noch die Brille, die ein anderes Comic-Pornobild aufruft, nämlich das der 'sexy Bibliothekarin'.

 

Wie ordnen Sie das Auftauchen von Silken Floss - der NS-Täterin in der Popkultur – in den historischen Kontext der Action-Figuren ein?  

Die Geschichte dieser Figuren ist ziemlich komplex. Ich würde daher zwei Diskursstränge herausgreifen. Zum einen ist das eine historisch gut verortbare Verwobenheit von Popkultur und wirtschaftlicher Vermarktung. Zum anderen ist das eine popkulturelle, sehr weit fortgeschrittene Ikonisierung von Täterinnen, und zwar spezifisch von NS-Täterinnen.

Wenn wir uns Ersteres genauer anschauen – den Bereich von Popkultur und wirtschaftliche Vermarktung – lässt sich ziemlich genau sagen, wann es anfängt, dass Comics, Actionfiguren/Spielzeuge und später Filme als Medienverbund vermarktet werden.

Die Barbie, die wir alle kennen, bringt die Firma Mattel 1955 raus, aber erst 1964 erscheint die erste G.I. Joe-Figur, also eine Soldatenfigur, die wirtschaftlich erfolgreich ist. Und aus G.I. Joe wird dann eine Reihe von Soldatenfiguren und Agenten: die Action-Figuren.

Ich würde sagen, spätestens ab den 1970er Jahren ist es üblich, dass Popkultur im Bereich des Comics, dann ab den 1990er Jahren vermehrt durch Filme, im Verbund mit den Action-Figuren vermarktet werden.

Ich denke, dass mit dem Erfolg der Superheldenfilme in den letzten zehn Jahren dieses Phänomen immens zugenommen hat, denn Action-Figuren sind inzwischen ein eigener Marktsektor.

Die Figuren sind keine Spielzeuge für Kinder, sondern richten sich speziell an Erwachsene, vor allem an maskulin kodierte Sammler, die sich in Internetforen treffen können. Es geht darum, diese Figuren zu sammeln, die Sammlung zu zeigen. Der Marktwert erhöht sich, je älter die Figur ist, vor allem wenn die Verpackung intakt ist.

Sucht man im Internet, gibt es wahnsinnig viele von diesen Figuren in diesem Look, also als NS-Täterinnen kodierte Figuren. Immer tragen sie die SS-Uniform, immer sind es stark sexualisierte Frauenfiguren, immer die blonden Haare, immer die roten Lippen.

Und da sind wir bei dem zweiten Diskursstrang: die Ikonisierung von NS-Täterinnenschaft und damit auch eine stärkere Sexualisierung von NS-Täterinnen. Beides ist in der Popkultur weit fortgeschritten.

Ich würde behaupten, schon seit mehreren Jahrzehnten ist Täterinnenschaft in Konzentrationslagern Gegenstand von popkulturellen Imaginationen. KZ-Täterinnen sind in der Popkultur die Chiffren, die Metaphern für das 'absolute Böse'. Ganz bekannte Marker sind etwa die sogenannten Nazi-Sexploitationfilme, z.B. Ilsa. She Wolf of the SS oder im Marvel-Universum die Madame Hydra-Figur.

Personen posten bei Instagram zu der Ravensbrücker KZ-Aufseherin Irma Grese und schreiben, sie sei ein „Reptilienmensch“ gewesen – also der Hydra-Figur nicht unähnlich. Zuletzt ist bei Amazon Prime die Serie Hunters erschienen; auch dort tauchen diese Figurenkonstellationen, wenn auch am Rande, auf. 

Wie bei unserem Ausstellungsstück, sind die Figuren immer stark verwoben mit einem Fetisch – die Uniform, das Dekolleté, die roten Lippen – also immer mit pornographisch konnotierten Fantasien.

Wenn man sich bei Youtube Clips aus dem The Spirit-Film anschaut, in denen Silken Floss auftaucht, findet man auch User-Kommentare wie „na ja, der Film war schlecht, aber great, awesome, cool characters“, „tolle Brüste“, und pornografisch noch sehr viel eindeutigere Kommentare.

 

Was bedeutet dies für Ihre Bildungsarbeit?

In der Geschichtsdidaktik gibt es eine Theorie, die besagt, dass unser Blick auf die Vergangenheit(en) von sogenannten historischen Imaginationen geprägt wird: Bilder in unserem Kopf, die aus der Geschichtskultur entstehen, virulente, weit verbreitete Geschichtsbilder.

Das Bild der NS-Täterin im Bereich der Popkultur ist meines Erachtens ein solch imaginatives Bild von der Vergangenheit – und zwar nicht nur ein weit verbreitetes, sondern auch ein hoch erfolgreiches Bild. Es ist überall.

Die US-amerikanische Philosophin bell hooks vertritt die These, dass Popkultur unser Lernen ganz entscheidend prägt. Sie versteht die Popkultur als das, was den Menschen wirklich erreicht, als einen gesamtgesellschaftlichen Ort des Lernens. Popkultur repräsentiert Gesellschaft und erzählt von Gesellschaft.

Popkulturelle Imagination, wie das Bild von der NS-Täterin, sind in den sozialen Netzwerken, Instagram, etc. weit verbreitet und werden in diesem Netzwerk immer weiter fortgeschrieben. Damit verankern sich Fiktionen, werden gefestigt, sind jederzeit aufrufbar, und somit fundamental prägend als Zugangs- oder Vorstellungswelt, als Erzählung über NS-Täterinnen, über KZ-Aufseherinnen und zwar weitgehend losgelöst von der historischen Wirklichkeit.

Eine Aneignung von historischen Imaginationen passiert, meiner Meinung nach, nicht bewusst. Trotzdem verfestigen sich diese Vorstellungen. Genau hier kommen wir zu der Erfahrung aus unserer Bildungsarbeit.

Was wir immer wieder von Besuchern und Besucherinnen hören, und das ist überhaupt nicht altersgruppenspezifisch, ist die Vorstellung, Aufseherinnen, Täterinnen seien brutaler gewesen als die Männer, sie seien besonders kalt gewesen, besonders unbarmherzig – immer gebunden an das Stereotyp der Schönheit, das kalte, unbarmherzige Biest. Und auch dieses Stereotyp finden wir bei Silken Floss, die ja nicht von ungefähr blond ist.

Was das für unsere Vermittlungsarbeit heißt? Ich finde es ziemlich aufregend, dass wir mit der Action-Figur jetzt ein Objekt in der neuen Ausstellung haben, das genau diese Imaginationswelten so explizit zeigt und aufruft, und damit für uns einen Gesprächsanlass bietet über diese Vorstellungswelten, den es unbedingt zu nutzen gilt.

Und ich erwarte ganz klar, dass bei fotografischen Selbsterkundungen, die wir auch machen, genau dieses Objekt von den Gruppen oft fotografiert wird, sodass schon allein dadurch Diskussionsräume zu den Reaktionen von „das habe ich mir so vorgestellt“ bis „dieses Objekt empört mich zutiefst“ aufgerufen werden.

Es ist aber auch ganz klar nicht das Erste, was ich in dieser Ausstellung bei Rundgängen zeigen würde, aus genau denselben Gründen.