Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Mahn‑ und Gedenkstätte Ravensbrück

Gedichte

Neben den Miniaturen entstanden auch eine Reihe von Gedichten im Lager. Gedichte und bildhauerische Arbeiten treten immer wieder in einen direkten Dialog, sind stellenweise zwei künstlerische Ausdrucksformen, die sich gegenseitig bedingen.

Für die Ausstellung wurden insgesamt fünf Gedichte ausgewählt: Die drei Gedichte Alpträume, In der Nacht, Erinnerung sind im Lager entstanden. Porträt des Vaters und Waldengel schrieb Zofia Pociłowska nach 1945. Die Worte des lyrischen Ichs sind nicht an konkrete Adressaten gerichtet. Sogleich wirken sie intim. Die Gedichte nach 1945 weisen sprachliche Parallelen zu den bildhauerischen, organisch wirkenden Arbeiten auf und unterstützen eine parallele Betrachtung von textlichem und visuellem Werk.

Joy von Wienskowski, Studentin der Genderstudies

(Polska wersja językowa wierszy)

Gedichte

Albträume

In der Ferne das weiße Rechteck des Fensters,
und auf den Bettrand hat sich schwarze Nacht gelegt.
Hinter dem Fenster strecken durchnässte Geister
Ihre langen, verschränkten Arme aus,
Hände mit ungeheurer Kraft!

O nein, ihr erwürgt mich nicht, verfluchte Gespenster.
Ich stoße euch mit der Kraft meines jungen Lebens zurück,
mein pochendes Herz wird nicht euer blutiges Opfer,
die Nacht werde ich mit der Sonne erschlagen.
Genug des Schlafs und der Träume – der Sehnsüchte ohne Ende.
Fort mit euch – hört ihr?

Zofia Pociłowska, übersetzt von Inge Gerlinghoff, gelesen von Brigitte Reidinger

Erinnerung

Noch verbindet mich mit dir
Ein dünner, silberner Faden.
Aber sag, soll man immer noch davon träumen,
was vorbei ist, unwiederbringlich vergangen?
Geblieben ist nur der leichte Nebel von Erinnerungen…
Wie ein leuchtender Regen fällt er manchmal herab
auf die Augen,
wie ein Kuss legt er sich auf die Lider…
macht vielleicht ein wenig benommen…
ich weiß, du sehnst dich nicht mehr nach mir,
du bist fremd und fern…
und ich weiß es. Gut, allein weiter zu gehen.
Ravensbrück 1942
Zofia Pociłowska, übersetzt von Inge Gerlinghoff

In der Nacht

Helle Weite der Nacht,
der Himmel kühl, wundersam tief,
und hinter einer klaren Wolke
wie einst –
der einsame Mond
fließt wie eine Träne Licht in die weitgeöffneten Augen…
Die Ewigkeit hat das Herz
berührt mit ergreifender Stille
und der ruhige Schatten des Todes
den Wald erschauernd bewegt.
Helle, trockene Strahlen
wirbeln im Regen ferner Sterne –
das endlose Leiden
schreit mit der Sehnsucht der Jahrhunderte.
Auch heute spüre ich wie einst, ich weiß es,
der Tod ist nur ein leiser Schlaf
in die Unsterblichkeit.
Was bedeutet denn der Schmerz kleiner, verlorener Atome im Blau
angesichts der allerstärksten Liebe zum beständigen Leben?
Getrennt durch die schmerzhaften Wunden des Stacheldrahts
von der freien reinen Nacht
bewahre ich in meinem verkrampften Herzen
Das ganze Universum der Kraft.
Zofia Pociłowska, übersetzt von Inge Gerlinghoff

Portrait des Vaters (1955)

Ich erinnere mich – dein Blick
als wäre er an Flügeln von unsichtbaren Windmühlen aufgehängt
In den Lidern eingerahmt – unenthüllte Bilder – vermutlich vergeblicher Kämpfe.
Aber – helle Augen hattest du, wenn du mich ansahst
sie waren – Spiegel meiner sorglosen Welt.
Ich sagte: Ich komme wieder, als ich mich verabschiedete.
Deine Augen sah ich damals nicht.

Dort, wo ich war – erschienst du mir manchmal in meinen Träumen
führtest mich immer an der Hand
durch eine leere Landschaft – auf einem Pfade, entlang der Mauer aus Stein
oder am steilen Ufer eines schwarzen Gewässers …
Es schien mir – als kehrten wir gemeinsam zurück …
- aber du hat mich verlassen – warum?

Jetzt bin ich wieder hier – nah bei dir.
Durch das feuchte Grün der Waldstille
wachsen ins Herz Wurzeln der Erinnerung.
Im Schein der Vergänglichkeit sehe ich dein unvergessenes Gesicht
in einer zerfurchten Holzrinde.
Am Weg daneben warten geduldig die Steine
Es singt ein Vogel auf brüchigem Ast.
Zofia Pociłowska, übersetzt von Inge Gerlinghoff

Waldengel

für den Erhalt der Bäume
für den hohen Flug der Vögel
beten die Waldengel
im Regenbogen der Wolken

der Wind zerrt an ihren dunklen Flügeln
gesprungene Rinde knarrt
wie Tropfen von Harz fließt
das Blut der verwundeten Engel

für das reine Atmen der Erde
für das Wachsen der Bäume zur Sonne
für den Bestand des Lebens
beten die Waldengel
- mögen sie erhört werden.
Zofia Pociłowska, übersetzt von Inge Gerlinghoff