Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten Mahn‑ und Gedenkstätte Ravensbrück

Erwartung – Oczekiwanie

1973, Glasierte Keramik (Steingut in Salzglasur) 110 x 45 x 40 cm

Eine erste Annäherung an die Plastik bietet der Titel. Die aufrechte Haltung der dargestellten Figur und der geradeaus gerichtete Blick scheint sich dem zu Erwartenden, dem Kommenden entgegenzustellen. Verstärkt wird dieser Eindruck durch die schimmernde Glasur, mit der die Keramik überzogen ist. Sie verleiht der Oberfläche etwas Wehrhaftes und Schützendes.

Während das Gesamterscheinungsbild geschlossen wirkt, sind bestimmte Körperteile stark hervorgehoben: Der Kopf, die rechte Hand und die Brüste, die von einem tiefen Spalt voneinander getrennt scheinen. Irritiert dieser auf den ersten Blick, so fügt er sich in eine zweite Lesart der Skulptur: Unten den Brüsten scheint sich ein Schwangerschaftsbauch zu wölben, auf dem liebevoll die rechte Hand der Figur ruht. Während unsere Gesellschaft Schwangerschaft und Mutterschaft oft ausschließlich mit positiven Gefühlen konnotiert, wird vergessen, dass damit auch negative Gedanken einhergehen können. Selbstaufopferung, Verantwortung und das Zurücksetzen eigener Bedürfnisse können durchaus negativ empfunden werden. Der Künstlerin selbst dürften diese zwiespältigen Gefühle bekannt gewesen sein. Als berufstätige Mutter betonte sie in Interviews, wie schwer es war, ihre vier Kinder mit ihrer Kunst zu ernähren. Der Spalt in der Brust kann diesen Zwiespalt versinnbildlichen.

Die Künstlerin bezieht sich in dieser Arbeit explizit auf die christliche Ikonografie und den Typus der „Maria in der Hoffnung“. Die schwangere Madonna als Einzelthema ist kein häufiges Motiv in der christlichen Kunst. Ein konkretes Vorbild könnte die bekannte Madonna del Parto von Piero della Francesca aus dem 15. Jahrhundert sein, die ursprünglich auf einem Deckenfresko der Friedhofskapelle Santa Maria in Silvis in der kleinen Gemeinde Monterchi in der Toskana zu finden war. Bei beiden erscheint die rechte Hand auf dem gewölbten Bauch – eine Ausnahme im Vergleich zu den kanonisierten Darstellungen, bei denen die linke Hand auf dem Bauch ruht.   

Ein weiteres Motiv der christlichen Marienikonographie wird durch die Skizzierung eines Mantels aufgeworfen, der die Plastik an einigen Stellen zu umhüllen scheint. Sogenannte Schutzmantelmadonnen verbergen oft unter ihrem Mantel schutzsuchende verfolgte Christ*innen. Seinen Ursprung hat diese Motivik in der mittelalterlichen Tradition des Mantelschutzes. Zwar sind bei Pociłowkas Erwartung keine Schutzsuchenden zu erkennen, jedoch könnte hier im übertragenden Sinn das Ungeborene die zu schützende Person sein. Die Mutter wäre dann gleichgesetzt mit einer Heiligen, die sich und ihren Körper zum Schutze eines wehrlosen Kindes aufopfert.

Teresa Mack, Studentin der Kunstgeschichte und Genderstudies