Vom 20. bis 30. April 2023 erinnerte die Gedenkstätte Ravensbrück gemeinsam mit dem Internationalem Ravensbrück Komitee mit einem umfassenden Programm an die Befreiung der Häftlinge des Frauen-Konzentrationslagers durch die Rote Armee vor 78 Jahren.
Zentrale Gedenkveranstaltung am 23. April 2023
Bei der zentralen Gedenkveranstaltung konnte die Gedenkstätte trotz strömenden Regens rund 300 Gäste begrüßen, darunter die Ravensbrück-Überlebenden Emmie Arbel (Israel), Irene Fainman-Krauß (Südafrika), Ib Katznelson (Dänemark), Barbara Piotrowska (Polen), Ingelore Prochnow (Deutschland) und Marla Tribich (Großbritannien). Begrüßt wurden die Anwesenden von Dr. Andrea Genest, Leiterin der Gedenkstätte, Ambra Laurenzi, Präsidentin des Internationalen Ravensbrück Komitees, und Robert Philipp, dem Bürgermeister der Stadt Fürstenberg/Havel.
Ministerpräsident Dietmar Woidke hob die historische und gegenwärtige Bedeutung der Gedenkstättenarbeit hervor: „Gedenkstätten wie Ravensbrück sind wichtige Lernorte, die das Leid der Opfer greifbar machen und zur Sensibilisierung für die Verbrechen des Nationalsozialismus beitragen.“
Ib Katznelson, der als Kind mit seiner Mutter nach Ravensbrück deportiert wurde, betonte in seiner Rede die Verantwortung künftiger Generationen, sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Gewalt einzusetzen. „Ravensbrück sollte ein Ort sein, an dem zukünftige Generationen lernen, dass selbst verbale Diskriminierung zu unfassbarem Leid führen kann,“ sagte Katznelson, der im Januar 2023 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde.
Dr. Irina Scherbakowa, Mitbegründerin der russischen Menschenrechtsorganisation Memorial International, thematisierte die Herausforderungen des Gedenkens angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Sie kritisierte die Instrumentalisierung der Geschichte durch die russische Propaganda und betonte, dass die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg auch ein Appell für Menschlichkeit und Solidarität in der Gegenwart sein müsse.
Die polnische Überlebende Barbara Piotrowska rezitierte das „Ravensbrücker Vaterunser,“ ein im Lager entstandenes Gebet. Die Veranstaltung endete mit einer Kranzniederlegung am Denkmal „Tragende.“
Begleitprogramm
In der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin wurde am 20. April 2023 die Graphic Novel „Aber ich lebe. Vier Kinder überleben den Holocaust“ präsentiert. Die Autorin Barbara Yelin und die Ravensbrück-Überlebende Emmie Arbel sprachen gemeinsam über die Bedeutung von Zeichnungen als “Farbe der Erinnerung” und über den kollaborativen Entwicklungsprozess des Buchprojekts.
Künstlerische Werkschau am 22. April 2023
Am Nachmittag des 22. April präsentierten Studierende der Klasse „Zeichnung und Druckgrafik“ der Muthesius Kunsthochschule Kiel in der ehemaligen Textilfabrik der Gedenkstätte ihre künstlerischen Arbeiten. Die Holzschnitte und Drucke, die Anfang März vor Ort in der Gedenkstätte entstanden, beschäftigten sich mit dem Leben von Gustav Fritz Herzberg, einem als homosexuell verfolgten Häftling, der 1942 im Männerlager Ravensbrück ermordet wurde. Die Präsentation fand in Anwesenheit von Xenia Trost, der Großnichte Herzbergs, statt und war Teil eines größeren Ausstellungsprojekts, das ab Juni 2023 in der Gedenkstätte zu sehen war.
An beiden Tagen des Gedenkwochenende bot die Gedenkstätte Rundgänge, Buch- und Filmpräsentationen an. Weitere denzentrale Gedenkveranstaltungen wurden durch verschieden Initativen und Vereine im Rahmen der Veranstaltung abgehalten.
Den Abschluss des Jahrestags bildete ein Online-Forum der 2. und 3. Generation, bei dem Nachkommen ehemaliger Häftlinge ihre Perspektiven austauschten. Die Veranstaltung förderte den Dialog über die Weitergabe von Erinnerung und die historische Verantwortung gegenüber zukünftigen Generationen.
Hintergrund:
Zwischen 1939 und 1945 sind im KZ Ravensbrück 132.000 Frauen, 20.000 Männer und 1.000 weibliche Jugendliche des „Jugendschutzlagers Uckermark“ als Häftlinge registriert worden. Die Häftlinge stammten aus über 30 Nationen, unter ihnen befanden sich auch zahlreiche Juden sowie Sinti und Roma. Zehntausende wurden ermordet oder starben an Hunger, Krankheiten oder durch medizinische Experimente. Nach dem Bau einer Gaskammer Anfang 1945 wurden rund 6.000 Häftlinge von der SS vergast. Ende April 1945 trieb die SS Zehntausende Häftlinge auf Todesmärsche in Richtung Nordwesten. 3.000 im Hauptlager zurück gelassene Kranke wurden am 30. April 1945 durch die Rote Armee befreit.