20/25: Mehr als 1200 Gäste erinnerten heute in der Gedenkstätte Ravensbrück gemeinsam mit Überlebenden an den 80. Jahrestag der Befreiung des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück
04. Mai 2025
Nr.: 20/2025
Am heutigen Vormittag wurde in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück mit einer Gedenkveranstaltung an die Befreiung des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück vor 80 Jahren erinnert. Daran haben neun Überlebende aus Dänemark, Deutschland, Frankreich, Israel, Polen und der Schweiz teilgenommen. Die fünf Frauen und vier Männer im Alter zwischen 81 und 95 Jahren sind als Kinder und Jugendliche von den Nationalsozialisten in das KZ Ravensbrück und seine Außenlager verschleppt worden.
Nach der Begrüßung durch Gedenkstättenleiterin Andrea Genest und die Präsidentin des Internationalen Ravensbrück Komitees (IRK), Ambra Laurenzi, sprachen Kulturstaatsministerin Claudia Roth, der brandenburgische Kulturstaatssekretär Tobias Dünow, die polnische Ministerin für Kultur und Nationales Erbe, Hanna Wróblewska, und die Überlebende Ingelore Prochnow zu den Anwesenden. Die Schauspielerinnen Aida Folch, Ninel Geiger, Maren Kroymann und Jasmin Tabatabai trugen Erinnerungstexte ehemaliger Häftlinge vor. Im Anschluss an christliche und jüdische Gebete wurden am Denkmal „Die Tragende“ zahllose Kränze niedergelegt.
Unter den mehr als 1200 Gästen waren die Präsidentin des Landtages Brandenburg, Ulrike Liedtke, der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, Michael Kellner, Botschafterinnen und Botschafter sowie Botschaftsangehörige zahlreicher Staaten, Vertreterinnen und Vertreter von Opferorganisationen und zahlreiche Angehörige ehemaliger Häftlinge aus dem In- und Ausland.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth sagte: „Die Geschichte von Ravensbrück muss erzählt und seinen Opfern gedacht werden. Dafür sind die Erinnerungen der Überlebenden von sehr großer Bedeutung. Sie sollen nicht allein die Vergangenheit beschwören, sondern unsere Augen und Ohren öffnen für die Gegenwart. Wir brauchen diese Erinnerungen für die Zukunft unserer demokratischen Gesellschaft, für die der unbedingte Schutz der Würde des Menschen ein verpflichtender Imperativ ist, der ohne Wenn und Aber für alle Menschen gleichermaßen gilt.“
Kulturstaatssekretär Tobias Dünow sagte: „Der 30. April 1945 war ein Tag der Befreiung. Für viele der 3.000 Überlebenden des Konzentrationslagers Ravensbrück begann damit ein Kampf um Anerkennung und Würde - mitten im Schweigen der Nachkriegsgesellschaft. Auch 80 Jahre später müssen wir das Schweigen immer noch und immer wieder durch Dialog ersetzen. Unsere Erinnerungskultur wurde lange gegen Widerstände erkämpft, und heute müssen wir sie gegen unerträglichen Geschichtsrevisionismus verteidigen. Mit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten haben wir dabei einen Partner, der Erinnerungskultur als Arbeit zur Aufklärung und Sichtbarmachung der Vergangenheit sowie als aktive Demokratiebildung für Gegenwart und Zukunft begreift. Denn: Die Stimmen und Geschichten der Überlebenden wach zu halten, ist unser aller Aufgabe!“
Ministerin Hanna Wróblewska erklärte: „Heute, wo die letzten Zeitzeugen jener Ereignisse von uns gehen, liegt die Verantwortung, ihre Geschichte für zukünftige Generationen zu bewahren, bei uns. Die Bewahrung der Erinnerung ist nicht nur das Erinnern an die Vergangenheit – es ist die Verpflichtung zur Schaffung einer besseren Zukunft. Wir sollten nicht nur der Geschichte lauschen, sondern auch aktiv handeln: Die Jugend bilden, Zeugnisse dokumentieren, Initiativen unterstützen, welche an die Notwendigkeit erinnern, dass wir die menschliche Würde achten und uns Gewalt entgegenstellen.“
Ingelore Prochnow, die 1944 im KZ Ravensbrück zur Welt gekommen ist, sagte: „Ich bin 81 Jahre alt, aber da ist immer noch ein Kind in mir auf der Suche, und ich hatte und habe hier in Ravensbrück das Gefühl, etwas von mir oder auch von meiner Mutter zu finden, zu erspüren. Anders als die alten Häftlingsfrauen empfinde ich hier keinen Schrecken, weil ich keine Erinnerung habe an Ängste, Hunger oder Kälte. Trotzdem glaube ich, dass all das Spuren in meinem Körper und meiner Seele hinterlassen hat. Die alten Häftlingsfrauen erzählten mir, dass oft Frauen, deren Kinder verstorben waren, fremde Babys stillten, Stofffetzen, die als Windeln dienten, wurden mit der eigenen Körperwärme getrocknet, Brotstückchen, trotz großen eigenen Hungers, vom Mund abgespart, wurden aufgelöst und gefüttert. Ich ahne seitdem, dass ich viele Mütter hatte, von denen ich Liebe, Zuwendung und Wärme bekommen habe. Ich weiß, ohne sie, meine ‚Lagermütter‘, würde ich heute hier nicht stehen und zu Ihnen sprechen können.“
IRK-Präsidentin Ambra Laurenzi, deren Mutter das KZ Ravensbrück überlebt hat, ergänzte: „Die Verpflichtung des Internationalen Ravensbrück Komitees ist es, im Andenken an unsere Mütter dafür zu sorgen, dass die Geschichte nicht vergessen wird und dass die Unfähigkeit zur Kommunikation zwischen den Ländern überwunden wird, um eine gemeinsame Stimme zu finden, mit dem gemeinsamen Ziel einer gerechteren Welt, in der Freiheit und Rechte für das Gemeinwohl Priorität haben.“
Gedenkstättenleiterin Andrea Genest erklärte: „Mein herzlicher Dank gilt den heute hier anwesenden Überelbenden. Sie alle waren Kinder hier im Lager, Kinder, denen keine Kindheit gewährt war. Unser Gruß gilt den vielen Überlebenden, die an der heutigen Veranstaltung teilnehmen wollten, aber sich in letzter Minute eingestehen mussten, dass die Kraft nicht ausgereicht. Über 200 Angehörige ehemaliger Häftlinge sind aus ganz Europa und darüber hinaus angereist, viele zum ersten Mal, um mit uns über die Arbeit der Gedenkstätte zu diskutieren. Dieses große Engagement zeigt, wie tief bis heute Menschen auf der ganzen Welt von der Verfolgung während der Zeit des Nationalsozialismus geprägt sind. Die Vergegenwärtigung der Geschichte gehört zu unserem Leben – und es ist nun an uns zu zeigen, was wir daraus lernen wollen. Es ist an uns allen zu zeigen, dass wir Hass, Rassismus und Antisemitismus sowie ausgrenzendem Nationalismus eine klare Absage erteilen.“
Historischer Hintergrund
Kurz vor Kriegsende evakuierten das Internationale sowie das Schwedische und Dänische Rote Kreuz rund 7.500 Häftlinge nach Schweden, in die Schweiz und nach Frankreich. Die verbliebenen 20.000 Häftlinge wurden von der SS auf Todesmärsche Richtung Nordwesten getrieben, viele starben dabei. Am 30. April 1945 befreite die Rote Armee das Lager und die rund 3.000 zurückgelassenen kranken Häftlinge. Doch das Leiden endete für viele nicht mit der Befreiung: Viele starben in den anschließenden Wochen und Jahren an den Folgen der KZ-Haft. Nach Kriegsende nutzte die sowjetische Armee große Teile des ehemaligen Konzentrationslagers als Militärstandort. Seit 1948 bemühten sich Überlebende und die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes, den Bereich um das Krematorium als Gedenkort zu erhalten. Die erste offizielle Gedenkveranstaltung fand dort im September 1948 statt. Die 1959 eingeweihte Gedenkstätte gehört seit 1993 zur Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten. Eine 2013 eröffnet Hauptausstellung informiert über Geschichte und Nachgeschichte des KZ Ravensbrück.
Informationen: www.ravensbrueck-sbg.de
Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück
Straße der Nationen | 16798 Fürstenberg an der Havel
Das Programm zum 80. Jahrestag der Befreiung wird vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung udn Zukunft (EVZ) gefördert.
Verantwortlich:
Dr. Horst Seferens | Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit | Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
16515 Oranienburg | Heinrich-Grüber-Platz | T +49 3301 810920
seferens(at)stiftung-bg.de | www.stiftung-sbg.de
Die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten wird durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg und die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien gefördert.