Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück
Die Gedenkstätte Ravensbrück trauert um Selma van de Perre (1922-2025)
23. Oktober 2025
Selma van de Perre wurde 1922 als drittes von vier Kindern in die Familie des Schauspielers Barend Levi Velleman und der Hutmacherin Fem Velleman geboren und wuchs in einer liberalen jüdischen Umgebung in Amsterdam auf. Nach der deutschen Besetzung der Niederlande lebte sie unter dem falsche Namen Marga van der Kuit in der Illegalität und schloss sich einer überwiegend nichtjüdischen Widerstandsgruppe an, die jüdischen Familien beim Untertauchen half. Ihre Eltern und ihre jüngere Schwester wurden über Westerbork nach Auschwitz und Sobibor deportiert. Im Juni 1944 wurde Selma verhaftet und mit 22 Jahren aus dem Konzentrationslager Vught in das Frauen-KZ Ravensbrück deportiert. Hier musste sie unter anderem Zwangsarbeit in den Siemenswerkstätten leisten. Ihre jüdische Identität konnte sie bis zu ihrer Befreiung durch die Weißen Busse des schwedischen Roten Kreuzes geheim halten.
In Malmö wurden die Befreiten anhand der Listen der SS registriert. Dabei wurde sie als „Marga van der Kuit“ aufgerufen. Da traute sie sich zum ersten Mal seit Monaten zu sagen: „Mein Name ist Selma“. Dies ist auch der Titel ihrer Autobiografie, die 2020 in den Niederlanden erschien und in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde.
Nach der Befreiung kehrte Selma in die Heimat zurück. Sie wurde von den niederländischen Behörden zur Arbeit im medizinischen Dienst einer niederländischen Einheit in London verpflichtet. Erst nach und nach erfuhr sie, dass ihr Vater, ihre Mutter und ihre Schwester Clara ermordet worden waren, während es ihren Brüdern gelungen war, als Angehörige der niederländischen Marine nach Großbritannien zu entkommen.
Sie begann ein Studium der Anthropologie und Soziologie in London, wo sie als Lehrerin und in der Hörfunkabteilung der BBC arbeitete. Dort lernte sie den belgischen Journalisten Hugo van de Perre kennen, den sie 1955 heiratete. 1957 wurde beider Sohn Jocelyn geboren. Nachdem Hugo 1979 starb, übernahm sie seine Arbeit als Auslandskorrespondentin für belgische Sender und Zeitungen und berichtete im Wesentlichen über das britische Kunst- und Kulturleben.
1945 hatte sie den Entschluss gefasst, nie wieder deutschen Boden zu betreten. Auf Drängen anderer Ravensbrück-Überlebender nahm sie 1995 erstmals die Einladung zum 50. Jahrestag der Befreiung in der Gedenkstätte an. Danach war sie dort häufiger Gast. Von 2015 bis 2022 beteiligte sie sich am jährlichen Ravensbrücker Generationenforum, das die Gedenkstätte mit der Dr. Hildegard Hansche Stiftung ins Leben gerufen hatte, und teilte mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen ihre Geschichte. Oft saß sie mit den Teilnehmenden bis in die tiefe Nacht im Gespräch und zog ihre Zuhörerinnen und Zuhörer in ihren Bann. Sie war aber auch selbst eine Zuhörerin und knüpfte manchmal an vor Monaten begonnene Gesprächsfäden an.
2021 wurde Selma van de Perre vom niederländischen Königshaus in London mit dem Titel „Ridder in de Orde van Oranje-Nassau“ geehrt. Sie war eine passionierte Theatergängerin und Konzertbesucherin, und spielte mit Begeisterung bis ins hohe Alter Golf und Bridge. Anlässlich ihres 100. Geburtstags gab es in London eine Ausstellung mit farbenfrohen Gemälden, die sie geschaffen hatte.
Selma ist am 20. Oktober 2025 im Alter von 103 Jahren in London verstorben. Nach ihrer Haft in den Konzentrationslagern Vught und Ravensbrück hat sie noch achtzig Jahre in Freiheit leben können.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gedenkstätte Ravensbrück trauern um die Verstorbene, die für viele auch eine gute Freundin geworden ist, und drücken ihren Angehörigen, insbesondere ihrem Sohn Jocelyn das tiefste Mitgefühl aus.
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